SOZIOLOGIE DES MASSENTOURISMUS:
Grenzen des Reisens
Verreisen ist eigentlich die ultimative Freiheit, auch zu Zeiten der Corona-Krise. Doch aus Gastfreundschaft kann schnell Feindseligkeit gegenüber den Touristen werden, wenn diese in Massen einfallen. Was kann man gegen „Overtourism“ tun?
Die Geschichte des Reisens ist eine der zunehmenden Inklusion: Lange Zeit war das Reisen das Privileg bestimmter Berufsgruppen oder abenteuerlustiger Individuen. Dann wurde es in Form der „Grand Tour“ junger Adeliger durch die Kulturmetropolen insbesondere Italiens zum Statussymbol europäischer Oberschichten. Erst im 20. Jahrhundert wurde es in Form des modernen Tourismus so weit demokratisiert, dass alle an ihm teilhaben konnten. Der Tourismus hat damit eine Entwicklung mitvollzogen, die typisch ist für die moderne Gesellschaft: Immer größere Teile der Bevölkerung wurden und werden in Politik und Wirtschaft, aber zum Beispiel auch in die Erziehung und in die Massenmedien einbezogen.
Üblicherweise wird diese Entwicklung als gesellschaftlicher Fortschritt gewertet. Wer wollte etwas dagegen einwenden, dass nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen wählen dürfen oder dass alle eine Zeitung kaufen und lesen können? Kritik wendet sich deshalb selten gegen das Prinzip, sondern gegen dessen Realisierung: Jeder sollte die Schule besuchen dürfen, aber bitte nicht in einer zu großen Klasse! Sieht man nicht primär die Demokratisierung, sondern die Vermassung, wachsen die Bedenken.
So auch im Tourismus: Der Wunsch, alle mögen reisen, aber bitte schön an einen anderen Ort als man selbst, hat eine lange Tradition. Jüngeren Datums ist die Klage darüber, von zu vielen bereist zu werden: Die Touristenmassen ruinieren die Sehenswürdigkeiten, in beliebten Städten gibt es keine bezahlbaren Wohnungen mehr, und die Nachtruhe wird von rumpelnden Rollkoffern gestört. Aus willkommenen Gästen werden nervige Eindringlinge, die sich nicht nur untereinander geringschätzen, sondern auch von den Gastgebern zunehmend abgelehnt und angefeindet werden.
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